Finanztagebuch

Der Spekulant

By 25. Juli 2011 Juli 31st, 2023 No Comments

Immer, wenn’s ungemütlich wird, sind die Spekulanten schuld: Griechenland zahlt zu hohe Zinsen, Immobilienpreise rasseln in den Keller oder schießen in die Höhe, Nahrungsmittelpreise steigen, ….
Aber nie wird definiert, wer das eigentlich sein soll. Ein paar Klarstellungen:
Ein Spekulant ist vermutlich jemand, der a) mit eigenem Geld und hohem Hebel, b) ohne wirtschaftliches Interesse an der zugrundliegenden Sache c) kurzfristig d) in beliebiger Richtung (long/short) und e) weitgehend unreguliert in irgendeine an den Finanzmärkten handelbare Sache investiert.

Zu a) Mit eigenem Geld wird heutzutage nur noch wenig getan, sogenannte „Institutionelle Investoren“ – also irgendwelche rechtliche Gebilde, von Versicherungen bis Fonds, in denen angestellte Manager das Geld anderer Leute verwalten – haben den überwiegenden Teil aller Investitionen übernommen. Berühmte Hedgefondsmanager wie George Soros, der in seinen Fonds eigenes und fremdes Kapital verwaltet, aufgrund seines hohen Prestiges auftreten kann, als wär’s sein eigenes, sind die grosse Ausnahme. Diese Unterscheidung hat viele Auswirkungen auf das typische Anlegeverhalten, vor allem aber hinsichtlich der Betroffenen: die EigentümerInnen des Geldes sind letztlich viele Sparer; die Pensionfonds der kalifornischen LehrerInnen bewegen mehr Kapital als Soros‘ Hedgefonds.
Daraus folgt aber weiters, dass dies eben nicht (e) unreguliert erfolgt: tatsächlich unterliegen z.B. Hedgefonds niedrigeren Vorschriften als Fonds. Wenn aber der Grossteil des Kapitals von letzteren bewegt wird, stellt sich doch die Frage, ob Regulierungen Fehlentwicklungen verhindern oder im Gegenteil verschärfen. Z.B. der Hebel aufs eigene Geld: bei Hedgefonds ist ein Hebel von 4 schon hoch – d.h. das Vierfache des Eigenkapitals wird – mit von Banken ausgeborgtem Geld – eingesetzt. Finden Sie das hoch? Nun, die europäischen Banken operierten 2008, zum Ausbruch der Finanzkrise, mit einem Hebel von 60! Das liegt an 2 Dingen: erstens, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, liegt die Macht zur Geldschöpfung (also der „Gelddruckmaschine“) nicht bei den Zentralbanken sondern den Geschäftsbanken: diese „schöpfen“ mit der Kreditvergabe Geld, das durch die Kreditrückzahlung wieder „vernichtet“ wird. Zweitens unterliegen sie bei der Kreditvergabe bestimmten Risikobeschränkungen, ein Kredit an ein Unternehmen muss mit 6% Eigenkapital unterlegt werden, ein Hpothekarkredit mit 3% – und ein Kredit an eine andere Bank oder einen Staat mit … 0%! D.h. um Griechenland einen Kredit zu geben – also dessen Anleihen zu kaufen – muss eine europäische Bank 0€ Eigenkapital einsetzen und kann dafür Geld schöpfen. Das ist eine Erklärung, warum die Griechen überhaupt so lange so billiges Geld bekommen haben, dass sie in die jetzige Misere kommen konnten. Und eine unmittelbare Folge von Regulierung.

Aus b (kein wirtschaftliches interesse), c) kurzfristig und d) in beide Richtungen folgt, dass der Einfluss der Spekulanten mittelfristig immer neutral ist: sie kaufen Erdöl, Weizen, Währungen und wollen diese jedoch nicht verbrauchen oder lagern, sondern einfach wieder verkaufen. Wahrscheinlich wirken spekulative Gelder trendverstärkend – d.h. wenn Erdöl steigt, investieren Spekulanten und treiben den Preis weiter nach oben, und umgekehrt: fällt der Preis… Das wiederum erhöht vermutlich die Schwankungen von Preisen. Langfristig ist es jedoch bedeutungslos.
Wenn seit einiger Zeit die Preise von Rohstoffen und damit auch von Lebensmitteln steigen, ist es unwahrscheinlich, dass dies von „Spekulanten“ bewirkt wird. Plausibler sind offenkundige fundamentale Gründe: die Weltbevölkerung steigt, der Wohlstand in den Schwellenländern, damit die Nachfrage nach allen Rohstoffen. Überraschend ist da wohl eher, das über Jahrzehnte der Preis von Rohstoffen stagnierte; die jetzige Preisexplosion ist wohl eher das Nachholen eines lange unterdrückten Prozesses.
Dafür Spekulanten verantwortlich zu machen, erspart uns halt viel kompliziertere Betrachtungen: haben die Agrarförderungen der EU und USA negative Auswirkungen auf die globale Landwirtschaft gehabt – indem sie z.B. den unsubventionierten Anbau in Afrika so unattraktiv machten, dass Landwirtschaft aufgegeben wurde? Angesichts unaufhaltsam steigender Nachfrage: wie soll diese in Zukunft befriedigt werden? Welche Antworten haben wir Europäer auf die Landsicherungsstrategien der Chinesen? Ist es nicht naiv zu glauben, dass sich angesichts der globalen demographischen Entwicklung und der Endlichkeit von Anbauflächen in Zukunft so lächerlich niedrige Lebensmittelpreise wie in den letzten 30 Jahren – als Anteil an durchschnittlichen Haushaltsausgaben – halten können? Sollten wir uns nicht besser darauf einstellen, dass diese, so wie fast immer in der Menschheitsgeschichte, einen Großteil der Lebenshaltungskosten ausmachen???

Für irgendwelche jeweils unliebsame Entwicklungen an den Finanzmärkten „Spekulanten“ verantwortlich zu machen, klärt meist gar nichts. Im unschuldigsten Fall offenbart es einfach eine Denkfaulheit, sich mit komplexen fundamentalen Ursachen zu befassen. Im schlimmeren Fall ist es jedoch eine bewusste Strategie, um von eigentlichen Ursachen und Problemen, etwa politischer Verantwortung für die Finanzkrise oder Nutzlosig- und damit Überflüssigkeit von Aufsichtsbehörden abzulenken.