Finanztagebuch

Wolfgang Streeck zur Finanzkrise

By 7. November 2012 Juli 31st, 2023 No Comments

Zwei Artikel von Wolfgang Streeck zur Finanzkrise

Der erste, erschienen 2011, ist eine sehr klarsichtige Analyse der historischen politischen Ursachen der Krise: seit den 70er Jahren wurden soziale Verteilungskämpfe aufgeschoben, indem die Illusion von Wachstum aufrechterhalten wurde. (siehe Zusammenfassung unten). Das erhellt nicht nur, es rückt die Krise auch wieder in eine politische Arena und damit in eine Handlungsfähigkeit.

Der zweite Artikel, erschienen diesen September in Merkur, ist eine polemische Attacke auf die Vermischung von Banken und Politik. Es mag nicht sonderlich originell sein, auf die personellen Rochaden zwischen Goldman Sachs und US-Regierung hinzuweisen; es mag intellektuell voreilig sein, aus einer engen Verbindung auf eine einseitige Einflussnahme zu schließen (statt dass Goldman Sachs die US-Regierung beeinflusst, könnte ja auch einfach geschlossen werden, dass die engen Verknüpfungen eine Koordinierung der Interessen bedeuten – in dem Moment, wo der Staat nicht als armes Opfer der Finanzmärkte gesehen wird, sondern als starker Akteur mit ausgeprägten Eigeninteressen, scheint mir das auch die plausiblere!); aber der Wert des Artikels liegt für mich in der politischen Wendung des Arguments am Schluss: beenden wir die Gläubigkeit an Experten in Zentralbanken, erheben wir unsere Unfähigkeit, die Verhältnisse und Vorgänge noch begreifen zu können zur politischen Forderung, zur Rückgewinnung der demokratischen Entscheidungsfindung: besser wir BürgerInnen, die nicht verstehen, entscheiden (ob und welche Banken, Staaten, Industrien gerettet werden), als ein Klüngel von „Experten“, deren Interessen dubios sind und deren tatsächliches Verstehen inzwischen auch zweifelhaft geworden ist.

Diese Rückgewinnung des Politischen ist beiden Artikeln gemeinsam und das finde ich ihren hohen Wert in der aktuellen Debatte. Und zum Lesen sind beide ein Vergnügen, weil Streeck sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch ein brillanter Rhetoriker ist.

Wolfgang Streeck, Wissen als Macht, Macht als Wissen. Kapitalversteher im Krisenkapitalismus. Merkur 09/10 September 2012.

Wolfgang Streeck, The Crisis of Democratic Capitalism. New Left Review 71, September-October 2011